Das ungleiche Gesicht Schleswig-Holsteins – zwischen overtourism und leeren Gasthöfen

Wer wie ich seit fast 20 Jahren in Schleswig-Holstein regelmäßig unterwegs ist, erlebt ein Phänomen besonders deutlich: Die Region boomt touristisch – allerdings nicht gleichmäßig. Während beliebte Küstenorte wie Sankt Peter-Ording oder Timmendorfer Strand zunehmend unter Overtourism leiden, kämpfen kleine Dörfer im Binnenland verzweifelt ums Überleben ihrer traditionsreichen Gasthöfe. Als Besucher der oft in den Gegenden unterwegs ist sehe ich darin eine fatale Entwicklung: einerseits drohende Überfüllung, Umweltzerstörung (overtourism) und Unmut bei Einheimischen an der Küste, andererseits aussterbende Ortschaften mit leerstehenden Gasthöfen und verfallender Infrastruktur im Binnenland. Meine Hypothese: Diese ungleiche Entwicklung gefährdet langfristig die Lebensqualität und die touristische Attraktivität ganz Schleswig-Holsteins. Ein Umdenken ist dringend nötig.

Herausforderung Overtourism an der Küste – Untertourismus im Binnenland

1. Das Problem des Overtourism

Orte an Nord- und Ostseeküste platzen im Sommer aus allen Nähten. Strandkörbe sind über Monate im Voraus ausgebucht, Parkplätze rar, und Unterkünfte so teuer, dass sich Einheimische und Normalverdiener kaum noch Erholung leisten können. Als Wirtschaftsredakteur beobachte ich kritisch, wie die Belastungsgrenzen der Gemeinden regelmäßig überschritten werden. Die Folge: Belastete Infrastruktur, verstopfte Straßen und steigende Umweltprobleme. Das Versprechen von Wachstum und Wohlstand verliert zunehmend seine Glaubwürdigkeit, da echte Wertschöpfung oft nur punktuell stattfindet und erhebliche Nebeneffekte mit sich bringt.

2. Kontrastprogramm Binnenland – Gastgewerbe zwischen Hoffen und Bangen

Gleichzeitig erlebe ich in meinem eigenen Umfeld, im ländlichen und dennoch stadtnahen Bereich, ein völlig anderes Bild: Leerstehende Gastwirtschaften, kaum frequentierte Pensionen, rückläufige Umsätze. Die traditionsreiche Gaststätte, einst sozialer Mittelpunkt des Dorflebens, hat vielerorts längst dichtgemacht. Das Binnenland Schleswig-Holsteins leidet nicht unter zu viel, sondern zu wenig Tourismus.

Das Problem: Kaum jemand verirrt sich spontan in die Dörfer abseits der großen Verkehrsachsen, da diese Orte selten online sichtbar sind. Die Vermarktung fehlt, lokale Angebote und Aktivitäten sind oft unbekannt oder veraltet, was ich regelmäßig auch bei meinen Beratungen für regionale Betriebe sehe.

Regionen im Binnenland leiden unter mangelnder Sichtbarkeit und werden touristisch systematisch unterschätzt.

3. Lösungsansätze und Perspektiven: Balance durch intelligentes Marketing

Tourismus darf nicht mehr nur in Rekordzahlen gedacht werden, sondern muss nachhaltig und intelligent verteilt werden. Das bedeutet:

  • Digitalisierung des Binnenlandes: Online-Sichtbarkeit ist unerlässlich. Betriebe müssen aktiv werden und digital Präsenz zeigen. Als Wirtschaftsredakteur empfehle ich Kommunen und Betrieben im Binnenland, regionale Kooperationen einzugehen, gemeinsame Websites zu schaffen und lokale Erlebnisangebote sichtbarer zu machen.
  • Authentizität als Schlüssel: Schleswig-Holstein punktet durch Vielfalt, Authentizität und Ruhe abseits der Küste. Der Trend „Slow Tourism“ bietet enorme Potenziale, doch viele Gasthöfe und Kommunen haben ihn noch nicht erkannt. Hier gilt es, authentische Geschichten sichtbar zu machen, sei es über Bauernhof-Erlebnisse, Radwege, Wanderwege oder kulturelle Veranstaltungen.

3. Overtourism strategisch entschärfen – weniger ist mehr

Für Küstenorte bedeutet es, auf Qualität statt Masse zu setzen. Ein Ausbau der Infrastruktur alleine reicht nicht, er könnte sogar schädlich sein. Vielmehr braucht es Mut, Grenzen zu setzen und Alternativen zu schaffen.

Beispiele aus meiner Erfahrung, die funktionieren:

  • Kapazitätsgrenzen respektieren: Nicht jede Ecke der Nord- und Ostseeküste sollte touristisch erschlossen werden. Orte, die bewusst restriktiv bleiben, können Premium-Tourismus und Naturschutz miteinander verbinden.
  • Preismodelle anpassen: Durch variable Preisgestaltung, etwa für Tagestouristen, könnten Hotspots gezielt entlastet werden. Erlöse aus Tourismussteuern könnten zudem gezielt ins Binnenland fließen, um dort Strukturen aufzubauen.

Wer jetzt bewusst strategische Nischen besetzt, hat Chancen auf nachhaltiges Wachstum und echte Kundenbindung.

4. Best-Practice: Gemeinden, die es vormachen

Ein positives Beispiel in Schleswig-Holstein ist die Gemeinde Glücksburg nahe Flensburg, die sowohl Küstentourismus als auch Binnenland-Angebote verbindet. Durch gemeinschaftliches Marketing und klare Zielgruppenansprache schafft Glücksburg eine Balance zwischen hoher Attraktivität und nachhaltiger Besucherlenkung.

Kommunen und Unternehmen sollten solchen Beispielen folgen und vermehrt überregionale Kooperationen eingehen. Ziel muss sein, das touristische Angebot breiter aufzustellen, um die Lasten besser zu verteilen.

Fazit: Mutige Schritte statt halbherziger Maßnahmen

Schleswig-Holsteins Tourismus braucht nicht einfach mehr Gäste – sondern besser verteilte Gäste. Es ist Zeit, das Thema neu zu justieren und langfristige Strategien für nachhaltigen Tourismus umzusetzen. Nur so wird der Tourismus wirklich zu einer echten Bereicherung für alle, und nicht zum Problem, das die Lebensqualität gefährdet.

FAQ: Häufig gestellte Fragen

Was ist „Overtourism“ eigentlich genau?
Overtourism bezeichnet eine Überlastung von Destinationen durch zu viele Besucher, was negative Folgen für Infrastruktur, Umwelt und Lebensqualität hat.

Welche Rolle spielt Digitalisierung bei nachhaltigem Tourismus?
Eine entscheidende Rolle, da Sichtbarkeit und gezielte Besucherlenkung online gesteuert werden können. Kleine Gemeinden profitieren massiv von digitalen Plattformen und Social Media.

Wie können kleine Kommunen im Binnenland Besucher anziehen?
Durch klar definierte Zielgruppen, gemeinsames Regionalmarketing und Schaffung authentischer Erlebnisangebote. Kooperation statt Einzelkämpfertum lautet die Devise.

Müssen Kommunen nun Touristenströme aktiv limitieren?
Ja, an besonders belasteten Orten ist das notwendig. Es geht nicht darum, Gäste auszusperren, sondern die Besucherströme intelligenter und nachhaltiger zu steuern.

Was bringt eine bessere Verteilung des Tourismus konkret?
Wirtschaftliche Stabilität im ganzen Bundesland, bessere Lebensqualität für Einheimische und ein nachhaltigeres Tourismuskonzept für Schleswig-Holstein insgesamt.

Von Michael

M. ist Geschäftsführer und Gründer eine Agentur für Digitalisierung und Marketing und lebt in der Region Stuttgart. Schleswig-Holstein kennt er aus zahlreichen Urlauben – das Bundesland zwischen Nord- und Ostsee ist längst zu seinem Lieblingsreiseziel geworden. Er verfolgt aufmerksam die Entwicklungen in Schleswig-Holstein und schätzt dabei besonders die Vielfalt zwischen Küstenregionen und den ruhigen, ländlichen Gebieten im Binnenland. Er schreibt auch für das Portal Hof-Nachfolge.de, wo er sich intensiv mit den Herausforderungen der Hofübergabe und landwirtschaftlichen Betriebsnachfolge auseinandersetzt. Seine Leidenschaft gilt dabei insbesondere den Menschen hinter den Betrieben und deren Geschichten. Darüber hinaus begleitet er mit der Digitalagentur 4everglen Unternehmen aus Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg bei ihren digitalen und strategischen Herausforderungen. Als Experte für Digitalisierung und zukunftsfähiges Marketing setzt er sich dafür ein, regionale Unternehmen und Kommunen fit für die Zukunft zu machen.